Prävention 15. Dezember 2025 9 Min. Lesezeit

Omega-3-Fettsäuren - Was Sie gehört haben und was wirklich stimmt

"Soll ich Omega-3 nehmen?" Eine Frage, die ich fast täglich höre. Die Antwort beginnt mit einer Gegenfrage: Kennen Sie Ihren Omega-3-Index? Ohne diese Zahl ist jede Empfehlung Raterei.

Omega-3-Fettsäuren - Was Sie gehört haben und was wirklich stimmt

"Soll ich Omega-3 nehmen?"

Wenn ich diese Frage in meiner Praxis höre, antworte ich meistens mit einer Gegenfrage: "Kennen Sie Ihren Omega-3-Index?"

Meistens folgt Schweigen. Die wenigsten kennen diesen Wert. Dabei ist er der Schlüssel zu einer sinnvollen Antwort. Denn über kaum ein Nahrungsergänzungsmittel wird so viel Halbwissen verbreitet wie über Omega-3-Fettsäuren.

Zeit, mit ein paar Mythen aufzuräumen.


Mythos 1: Fisch essen reicht

"Ich esse regelmäßig Fisch, das müsste doch reichen."

Höre ich oft. Stimmt leider meistens nicht.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt ein- bis zweimal Fisch pro Woche. Das klingt machbar. Das Problem: Selbst Menschen, die sich daran halten, erreichen häufig keinen optimalen Omega-3-Index.

Warum? Erstens essen die meisten Deutschen deutlich weniger Fisch als empfohlen. Zweitens enthält nicht jeder Fisch gleich viel Omega-3. Eine Portion Lachs liefert etwa 2 Gramm EPA und DHA. Eine Portion Pangasius? Praktisch nichts.

Und drittens haben wir ein Omega-6-Problem. Unsere moderne Ernährung enthält zu viele Omega-6-Fettsäuren - aus Sonnenblumenöl, Maisöl, verarbeiteten Lebensmitteln. Das Verhältnis Omega-6 zu Omega-3 sollte idealerweise bei 2:1 bis 5:1 liegen. Bei den meisten Deutschen liegt es bei 15:1 oder höher.

Da hilft auch der wöchentliche Fisch nur begrenzt.


Mythos 2: Omega-3 ist gefährlich

2020 machte eine Schlagzeile die Runde: "Omega-3 erhöht das Risiko für Vorhofflimmern!"

Das hat viele verunsichert. Verständlich. Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail.

Ja, in einigen Studien wurde bei hohen Omega-3-Dosen ein erhöhtes Vorhofflimmern-Risiko beobachtet. Die STRENGTH-Studie etwa verwendete 4 Gramm täglich - das ist das Doppelte bis Vierfache dessen, was normalerweise empfohlen wird.

Interessanter ist eine Studie von Metcalf und Kollegen aus dem Jahr 2014. Sie fanden eine U-förmige Beziehung: Sowohl ein zu niedriger als auch ein zu hoher Omega-3-Index war mit einem erhöhten Vorhofflimmern-Risiko verbunden. Der optimale Bereich lag zwischen 9 und 10,5 Prozent.

Die Botschaft: Nicht "viel hilft viel", sondern "die richtige Menge hilft". Und die kennt man nur, wenn man misst.


Mythos 3: Die Studienlage ist negativ

"Omega-3 bringt nichts, das haben Studien gezeigt."

Auch das ist zu einfach.

Ja, die VITAL-Studie mit über 25.000 Teilnehmern fand keinen signifikanten Nutzen für die Allgemeinbevölkerung bei der Verhinderung von Herzerkrankungen. Aber: Die Teilnehmer hatten im Schnitt bereits einen relativ guten Omega-3-Status. Und die verwendete Dosis von 840 mg täglich war eher niedrig.

Die REDUCE-IT-Studie hingegen zeigte bei Hochrisikopatienten mit erhöhten Triglyzeriden eine Risikoreduktion für Schlaganfälle um etwa 50 Prozent - abhängig vom erreichten Omega-3-Spiegel.

Eine Studie zur kognitiven Funktion fand bei älteren Erwachsenen nach 26 Wochen Supplementierung mit 2.200 mg Omega-3 täglich eine signifikant bessere Gedächtnisleistung.

Und bei Schwangeren reduzierte eine Omega-3-Gabe das Allergierisiko der Neugeborenen drastisch.

Was lernen wir daraus? Omega-3 wirkt - aber nicht bei jedem gleich, nicht in jeder Dosis, und nicht unabhängig vom Ausgangsstatus. Pauschalaussagen sind wenig hilfreich.


Der Schlüssel: Messen statt raten

Hier komme ich zum eigentlichen Punkt. Die Frage "Soll ich Omega-3 nehmen?" lässt sich ohne Messung nicht seriös beantworten.

Der Omega-3-Index misst den Anteil von EPA und DHA in den roten Blutkörperchen. Er spiegelt die langfristige Versorgung wider, nicht nur die letzte Mahlzeit.

Die Referenzbereiche:

  • Unter 4 Prozent: Hohes Risiko, deutlicher Mangel
  • 4 bis 8 Prozent: Suboptimal
  • 8 bis 11 Prozent: Optimal
  • Über 11 Prozent: Keine zusätzlichen Vorteile, möglicherweise erhöhtes Risiko

In Deutschland liegt der durchschnittliche Omega-3-Index bei etwa 5 bis 6 Prozent. Die meisten Menschen sind also unterversorgt.

Die Untersuchung kostet beim spezialisierten Labor Omegametrix etwa 68 Euro. Das Labor rechnet direkt mit Ihnen ab. Die Blutentnahme und Beratung erfolgt beim Arzt.

Viele Hausärzte bieten diese Untersuchung nicht an - teils aus Unkenntnis, teils weil ihr Standardlabor sie nicht im Programm hat. Wenn Sie Ihren Omega-3-Index bestimmen lassen möchten, fragen Sie am besten bei einem Ernährungsmediziner nach. In meiner Praxis bieten wir diese Untersuchung an.


Meine Empfehlung

Nach allem, was ich aus Studien kenne und in der Praxis sehe: Ich halte eine Omega-3-Supplementierung für sinnvoll. Für die meisten Menschen.

Aber nicht blind, sondern gezielt:

  1. Erst messen: Omega-3-Index bestimmen lassen
  2. Dann supplementieren: Bei einem Index unter 8 Prozent ist eine Supplementierung in der Regel sinnvoll
  3. Nach 3-4 Monaten kontrollieren: Hat sich der Index verbessert?

Bei der Dosierung orientiere ich mich an 2.000 mg EPA und DHA täglich. Das entspricht etwa einem Esslöffel hochwertigem Fischöl oder Algenöl.

Ich selbst nehme täglich ein Omega-3-Öl. Wichtig ist mir dabei die Qualität: regelmäßige Schadstoffprüfung, hoher EPA/DHA-Gehalt, nachhaltige Herkunft.

Was ich nicht empfehle: wahllos irgendein Präparat aus dem Supermarkt zu nehmen und zu hoffen, dass es schon helfen wird. Das ist Geldverschwendung - oder im schlimmsten Fall kontraproduktiv.


Fischöl oder Algenöl?

Eine Frage, die oft kommt: Muss es Fischöl sein, oder geht auch Algenöl?

Beide funktionieren. Algenöl ist die vegane Alternative und hat den Vorteil, dass die Omega-3-Fettsäuren dort ursprünglich herkommen - Fische reichern sie ja auch erst über ihre Nahrung an.

Die Bioverfügbarkeit ist bei beiden gut, wenn sie als Öl (nicht als Kapsel) und zusammen mit einer fetthaltigen Mahlzeit eingenommen werden.


Fazit

Omega-3-Fettsäuren sind kein Allheilmittel. Aber sie sind auch nicht der Hype, als den manche Kritiker sie abtun.

Die Wahrheit liegt in der Mitte: Für Menschen mit niedrigem Omega-3-Index - und das sind die meisten in Deutschland - ist eine gezielte Supplementierung sinnvoll und durch Studien gestützt.

Der entscheidende Punkt: Messen Sie Ihren Status, bevor Sie supplementieren. Nur so wissen Sie, ob und wie viel Sie brauchen. Und nur so können Sie den Erfolg kontrollieren.


Quellen

  1. Metcalf RG, et al.: Association between dietary omega-3 polyunsaturated fatty acid intake and incidence of atrial fibrillation. Heart Rhythm, 2014.
  2. Manson JE, et al.: Marine n-3 Fatty Acids and Prevention of Cardiovascular Disease and Cancer (VITAL Study). New England Journal of Medicine, 2019.
  3. Bhatt DL, et al.: Cardiovascular Risk Reduction with Icosapent Ethyl (REDUCE-IT). New England Journal of Medicine, 2019.
  4. Witte AV, et al.: Long-chain omega-3 fatty acids improve brain structure and function in the elderly. Cerebral Cortex, 2014.
  5. Dunstan JA, et al.: Fish oil supplementation in pregnancy modifies neonatal allergen-specific immune responses. Journal of Allergy and Clinical Immunology, 2003.
  6. von Schacky C: Omega-3 Index and cardiovascular health. Nutrients, 2014.

Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine ärztliche Beratung. Bei Unsicherheiten oder bestehenden Erkrankungen sprechen Sie bitte mit Ihrem Arzt. Die Omega-3-Index-Bestimmung ist eine Selbstzahlerleistung.

Teilen:
Dr. med. Jan Sturm

Dr. med. Jan Sturm

Facharzt für Allgemeinmedizin, Betriebsmediziner und Ernährungsmediziner

Mehr über mich →

Ähnliche Artikel