Digitalisierung in der Arztpraxis: Chancen und Frust
E-Rezept, ePA, TI - was davon funktioniert und was nur Zeit kostet.
"Haben Sie eigentlich schon das E-Rezept?"
Diese Frage höre ich regelmäßig. Dahinter schwingt meist die Hoffnung mit, dass Digitalisierung alles einfacher macht. Schneller. Moderner.
Die Realität ist komplizierter.
Der Stand der Dinge
Ja, wir haben das E-Rezept. Und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Und die Telematikinfrastruktur (TI). Und bald die elektronische Patientenakte (ePA).
Ob das alles funktioniert? Definieren Sie "funktioniert".
Was funktioniert
Die eAU (elektronische Krankschreibung)
Der "gelbe Schein" ist Geschichte. Wenn Sie krankgeschrieben werden, geht die Information elektronisch an Ihre Krankenkasse und Ihren Arbeitgeber (der muss sie allerdings selbst abrufen).
Das funktioniert erstaunlich gut. Eine echte Arbeitserleichterung - Sie müssen nichts mehr per Post schicken, wir müssen keine Durchschläge sortieren.
Einziges Problem: Wenn die Technik streikt (was vorkommt), brauchen Sie doch einen Zettel.
Elektronische Befundübermittlung
Laborergebnisse, Röntgenbilder, Arztbriefe - vieles kommt mittlerweile elektronisch. Das spart Zeit und Papier.
Voraussetzung: Die Systeme müssen miteinander kommunizieren. Das tun sie nicht immer. Manchmal schicken mir Kollegen PDFs per Mail, die ich dann manuell in die Akte einfügen muss. Aber immerhin keine Faxe mehr.
Was nur so halb funktioniert
Das E-Rezept
Theoretisch elegant: Sie kommen in die Praxis, ich stelle ein E-Rezept aus, Sie gehen in die Apotheke, zeigen Ihre Gesundheitskarte, bekommen das Medikament.
Praktisch: - Die Systeme sind langsam. Manchmal braucht das E-Rezept Minuten, bis es in der Apotheke ankommt. - Nicht alle Rezeptarten sind digitalisiert (Betäubungsmittel, Hilfsmittel, manche Sonderformen). - Bei technischen Problemen: Ersatzpapierrezept. Das heißt: doppelte Arbeit. - Und wehe, Sie brauchen das Rezept in einer anderen Apotheke als gewohnt - dann wird es manchmal kompliziert.
Videosprechstunden
Corona hat einen Schub gegeben. Videosprechstunden sind möglich und manchmal sinnvoll - für Beratungen, Befundbesprechungen, Folgerezepte.
Aber: Die Plattformen sind umständlich. Die Vergütung ist schlechter als für persönliche Besuche. Und vieles lässt sich eben nicht per Video machen - Untersuchungen zum Beispiel.
Was nicht funktioniert
Die Telematikinfrastruktur (TI)
Das ist das "Rückgrat" der Digitalisierung. Über die TI sollen alle Praxen, Krankenhäuser, Apotheken vernetzt sein.
Kosten für meine Praxis: Mehrere tausend Euro jährlich. Hardware, Software, Wartung.
Nutzen: Überschaubar. Die meisten Funktionen sind noch nicht live oder laufen instabil.
Außerdem: Die Konnektoren (das sind die Geräte, die uns mit der TI verbinden) haben ein Ablaufdatum. Dann brauchen wir neue. Wieder Kosten.
Die elektronische Patientenakte (ePA)
Ab 2025 soll jeder gesetzlich Versicherte automatisch eine ePA bekommen. Theoretisch eine gute Idee: Alle Befunde, alle Diagnosen, alle Medikamente an einem Ort. Zugänglich für alle behandelnden Ärzte.
Praktisch: - Die Vorversionen waren kaum nutzbar. Zu kompliziert, zu langsam. - Datenschutzbedenken sind real. Wer sieht was? - Und das wichtigste Problem: Die Systeme der verschiedenen Praxen müssen die ePA befüllen. Das bedeutet: zusätzliche Klicks, zusätzliche Zeit.
Ob die ePA 2025 ein Erfolg wird? Ich bin skeptisch.
Warum ist das so schwierig?
Historisch gewachsen
Jede Praxis hat eine andere Software. Es gibt dutzende Praxisverwaltungssysteme. Die miteinander zu verbinden ist wie ein Puzzle mit Teilen aus verschiedenen Spielen.
Sicherheitsanforderungen
Gesundheitsdaten sind sensibel. Die Sicherheitsanforderungen sind hoch. Das macht alles komplizierter und langsamer.
Wirtschaftliche Interessen
Jeder Softwareanbieter will sein System verkaufen. Offene Standards sind nicht im Interesse der Hersteller.
Politisches Versagen
Jahrelang gab es keine klare Strategie. Kein übergeordnetes Konzept. Stattdessen: Flickwerk.
Was ich mir wünschen würde
- Ein System, das funktioniert. Ohne tägliche Abstürze, ohne Warteschleifen. - Zeit für Patienten statt für Technik. Digitalisierung sollte Zeit sparen, nicht kosten. - Vernünftige Vergütung. Videosprechstunden und digitale Beratung sollten angemessen bezahlt werden. - Klare Zuständigkeiten. Wer hilft, wenn etwas nicht funktioniert? Momentan oft: niemand.
Das Positive
Trotz allem: Es tut sich was. In zehn Jahren werden wir zurückblicken und lachen, wie umständlich das alles war.
Die Richtung stimmt. Die Umsetzung holpert. Aber irgendwann - hoffentlich bald - wird Digitalisierung wirklich Zeit sparen und die Versorgung verbessern.
Bis dahin: Geduldige Patienten und genervte Ärzte.
Dr. med. Jan Sturm
Facharzt für Allgemeinmedizin, Betriebsmediziner und Ernährungsmediziner
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